Einrichtungen im Harzer Kiez: Die Bäckerei Endorphina
Wo Nachbarschaft gebacken wird
Die Bäckerei Endorphina macht viel mehr als nur rein biologisches Brot, sie stärkt aktiv Nachbarschaft. Aus ihrem Standort, ein Neuköllner Innenhof, wurde im Laufe der Jahre eine regelrechte Kiez-Plattform. Ein Gespräch mit Inhaberin Katharina Rottmann.
Für ein Geschäft mit Laufkundschaft liegt die Bäckerei Endorphina eigentlich ungünstig: Im zweiten Innenhof eines Gebäudes in Neukölln, in der Elsenstr. 52. Wenn man ihn betritt, überrascht ein riesiges Metalldach auf rostigen Pfeilern: Es überdacht den Großteil des weitläufigen Hofes, in acht Metern Höhe. Darunter stehen vereinzelt Autos, auch alte Geräte, vermutlich Backmaschinen, dessen Zweck sich dem Laien nicht erschließt. Verstreut stehen Cafétische, mal mit Stühlen, mal mit Sofas bestückt, an denen eine Handvoll Gäste sitzen, die Erzeugnisse der Bäckerei genießen. Der Hof ist nur von zwei Seiten bebaut, auf den anderen bietet er freie Sicht. Links vom Dach steht ein klassischer Gewerbe-Klinkerbau mit vier Stockwerken, die Bäckerei nutzt das Erdgeschoss fast zur Gänze. Die oberen Etagen stehen weitgehend leer.
Laufkundschaft steht oft Schlange
Trotz der Lage läuft die Kundschaft gerne zu Endorphina: Sonntags steht sie sogar Schlange bis zur Straße, durch die zwei Innenhöfe hindurch. Denn hier kriegt man reines Biobrot. Vom Mehl über die Zutaten bis zur Machart, alles unterliegt strengsten Anforderungen. Für die Bäckerei ist die Lage jedoch ein Gewinn: Mit 120 Quadratmeter ist der Backraum vermutlich einer der größten Berlins für einen handwerklichen Betrieb, der Innenhof erlaubt eine ideale Entlüftung. Für die Nachbarschaft ist die Lage ebenfalls ein Gewinn: Denn den Innenhof nutzen nicht nur Kunden der Bäckerei, sondern eine Vielzahl von Menschen.
Drehscheibe der Nachbarschaft und Nachhaltigkeits-Hotspot
Zum Beispiel die «Abonnenten» von solidarischen Landwirten aus Brandenburg, kurz Solawi, die dort ihr wöchentliches Gemüse abholen. Die Marktschwärmer - eine Internetplattform, die lokale Erzeuger:innen von Bio-Produkten mit Kund:innen verbindet - betreiben im Hof einen ihrer wöchentlichen Marktplätze, oder Vergabeort der Bestellungen. Drei Biobauer nutzen ihn als Abholstelle, ein Züchter von Bio-Schweinen kommt regelmäßig vorbei. Eine Hochschule aus Eberswalde, mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, hat in kleinen Beeten Weizen- und Soja-Sorten angebaut. Einmal im Jahr ist es ein Kunstort des Festivals 48 Stunden Neukölln. Eigentlich ist der Innenhof von Endorphina ein Nachhaltigkeits-Hotspot und eine Drehscheibe der Nachbarschaft.
Die Welt im Kleinen verändern
„Hier ist jeder willkommen“, sagt Katharina Rottmann, die Inhaberin der Bäckerei. Über die Jahre hat sie den Hof konsequent zu einer Plattform für das Viertel ausgebaut. Aus Überzeugung. Vor 38 Jahren kam sie in das „verschlafene West-Berlin“ und engagierte sich stark politisch. 20 Jahre lang lebte sie in einer Fabriketage, eine WG, die zwischen acht und 20 Leute fasste. Politischer Aktivismus war damals angesagter als heute. Doch irgendwann hörte Rottmann auf, auf Demonstrationen zu gehen. Sie wollte lieber die „Welt im Kleinen verändern“ und „Politik im Alltag machen“, anstatt zu hoffen, Politik durch X Demos zu bewegen. Doch wie kam die gelernte Heilpraktikerin zu einer Bäckerei? Die Kurzversion: „Ich bin kunstaffin“, meint die energische Geschäftsfrau, die mich an einem dicht mit Terminen getakteten Tag empfängt, und: „Backen ist eine Kunst“.
Die Kunst des Backens
Mit Begeisterung erzählt sie von dieser Kunst. Von den Erzeugern der Mehle, die aus Brandenburg liefern, oder Tschechien, und auf rein biologischen Grundstücken anbauen - einige davon sind durch genossenschaftlichen Eigentum vor Verkauf gesichert. Von „Pauliks Mühle“ in Müschen, die eine der besten im Berliner Umland sei. Von Milchbauern, die nachhaltig arbeiten. Von Sauerteigen, die den Kern der deutschen Brotkultur ausmachen und aus denen ein Teil des breiten Sortiments gebacken wird. Rein biologisch und handwerklich natürlich, darauf ist sie sehr stolz.
Es sei zwar schön, die deutsche Brotkultur zu feiern, aber man müsse auch etwas dafür tun. Deswegen ist Endorphina Ausbildungsbetrieb, so wird das Wissen weitergegeben. Ein sehr beliebter noch dazu: Auf zwei Azubi-Stellen bewerben sich rund 30 Kandidaten. Auch bei Lehrlingen ist die Bäckerei sehr beliebt. Da verwundert es nicht, dass Endorphina 2019 den „Ausbildungs-Ass“ gewann, wie man auf diesem Video sehen kann.
Ein zäh erkämpfter Erfolg, mit ungewisser Zukunft
Heute freut sich die Bäckerei über Andrang von Kund:innen, beschäftigt um die 25 Mitarbeitende, ist auf vielen Märkten vertreten, beliefert sogar 5-Sterne-Hotels. Der Erfolg kam nicht über Nacht: Von den 20 Jahren des Bestehens waren sechs dem Aufbau gewidmet, seit rund vier Jahren läuft es wirklich gut. Doch leider hängt ein Damokles-Schwert nicht nur über der Bäckerei, sondern über dem ganzen Hof - das Dach und die rostigen Pfeiler bieten da wenig Schutz. Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen kaufte vor zwei Jahren die gesamte Liegenschaft und will den Innenhof bebauen. Dafür wurde den meisten der bis dahin ansässigen Gewerbe gekündigt.
Bäckerei und Baustelle – eine gute Mischung?
Am Tag wo die Bauarbeiten anfangen, könnte es eng werden für die Bäckerei. Ob die Kunden gerne auf eine Baustelle gehen ist fraglich, der Café-Betrieb müsste sicher eingestellt werden. Der Konzern beteuerte Rottmann, sie auf dem Standort halten zu wollen. Doch ob der Betrieb sich inmitten von Bauarbeiten halten kann?
Bisher hat sich die Lage wieder einmal als Vorteil herausgestellt: Der Hof ist schwer zugänglich. Die Deutsche Wohnen hatte zwar angefragt, ob sie durch die benachbarte Jugendeinrichtung Wilde Rübe eine vier Meter breite Zufahrt einrichten könne. Der Garten der Einrichtung grenzt an den Innenhof der Bäckerei. Doch schweres Baugerät und Jugendliche unter 14 Jahren sind keine gute Mischung, besonders nicht zwei Jahre lang, antwortete man.
Die mittelfristige Zukunft des Innenhofs mit dem rostigen Dach ist also ungewiss. Ob Endorphina seinen Betrieb und Funktion als Plattform in der jetzigen Form aufrecht erhalten kann auch.