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Einrichtungen im Harzer Kiez: Die Street Players

Welche Sprache bist Du?

In der Sonnenallee 158 gibt es einen kleinen Laden, der von außen verlassen wirkt. Dabei ist es eine richtige Plattform: 40 bis 80 Kinder nutzen täglich das Angebot der Street Players, das mehrheitlich draußen stattfindet. Die Betreuer:innen Catía und Paul erzählen von ihrer Arbeit und was man unter «hinausreichende Jugendarbeit» versteht.

 

Mariusz (Name geändert) steht auf einer kleinen Leiter, um gut auf der Arbeitsfläche der Küche arbeiten zu können. Der Zehnjährige wirkt hochkonzentriert: Er bereitet die Zutaten für eine Quiche vor. Die Küche mit riesigem Tisch, an dem mindestens 12 Kinder Platz haben, steht im ersten Hinterzimmer der Street Players. An der Wand hängen Regeln, ähnlich Geboten zum Zusammenleben, die die Kinder selbst malten. Mansur und Iris schrieben «Zuhören und Ausreden lassen», Micha und Selma «Respekt vor Einander». Darunter wird erläutert, was das bedeutet: nicht treten, nicht schlagen, nicht auslachen, nicht beleidigen. Der Eindruck täuscht, Streit unter Kindern ist eher die Ausnahme.

 

«Die Street Players bieten Freizeitangebote, bei denen Sport und Spielen im Vordergrund stehen“, erklären die Betreuer:innen Catía und Paul.Mariusz kriegt jetzt Hilfe von Catía, er klettert von der Leiter herunter und sie schieben gemeinsam die Quiche in den Ofen. «Vor Corona hatten wir einmal die Woche ein Indoor-Angebot, bei dem auch gekocht wurde. Das mussten wir streichen. Die Quiche ist ein Test, ob wir es wieder einführen können». Der Begeisterung von Mariusz nach zu urteilen, sollte das Angebot sofort wieder eingeführt werden. «Eigentlich haben wir noch nicht geöffnet, aber wir wollten ihn nicht nach Hause schicken», erklärt Catía. An der Tür klopfen zwei Mädchen, sie sind mit Mariusz befreundet. Sie schneien schnell herein, zerzausen Pauls Haare, der lässt es geduldig geschehen, sprechen sich mit ihrem Freund ab: Treffpunkt später, auf dem Spielplatz um die Ecke. Wenige Minuten später sind sie wieder verschwunden.

 

Der Vorderraum der Street Players könnte auch der einer Internet-Agentur sein: Die OSB-Platten an der Wand wirken schick, dahinter liegt jede Menge Spielzeug verstaut, ein Kicker steht mitten im Raum, vor einer bunten Sitzecke. In einem Verschlag steht das wichtigste Arbeitsinstrument der Jugendeinrichtung: Ein Rollwagen, voll mit Spielzeug, die Basis für die Angebote im Freien. Die finden auf dem benachbarten Hertzbergplatz und der Harzer Straße statt. Deswegen wirkt das Ladenlokal oft ungenutzt, er ist lediglich eine Basis, besonders in Zeiten von Corona. Die Kinder wollen manchmal Gruppenspiele, aber am liebsten toben sie in Grüppchen herum und den Betreuer:innen ist sehr wichtig, dass die Kinder entscheiden. Sie nutzen dabei das Spielzeug, das die Street Players mitnehmen und einige Kinder zu Hause nicht haben. Die Betreuer:innen, erkennbar an bedruckten T-Shirts, leiten das Spielangebot an.

 

Neben dem Hertzbergplatz ist das Einzugsgebiet der Street Players die Sonnenallee und die Harzer Straße. «Ein Großteil der Kinder spricht Rumänisch, oder Romanes, aber Arabisch, Türkisch, Bulgarisch, Kurdisch sprechen sie auch», meint Paul. Verständigt wird sich aber auf Deutsch, das alle fließend sprechen. Um neue Kinder zu verorten, wird oft die Frage gestellt: „Welche Sprache bist Du?“ Wenn man schon Menschen kategorisiert, warum dann nicht nach Sprachen, anstatt nach Herkunftsland. Zumindest den Kindern scheint das sehr viel sinnvoller und greifbarer.

Jetzt wo die Quiche im Ofen ist, sitzt Mariusz am Tisch und malt. Das Angebot im Park beginnt in einer Stunde, Catía und Paul können jetzt ein bisschen durchatmen. Der Arbeitsbereich sei spannend und der Kontakt zu den Kindern erfüllend, das stehe außer Frage, meinen beide. Sie haben auch den Eindruck, etwas bewirken zu können. Da sie meistens Kinder über Jahre begleiten, sehen sie auch Entwicklungen. Ein gutes Beispiel ist der Umgang mit Streit: „Wir zeigen Alternativen zum Beleidigen und Kloppen. Manche lernen schnell, andere langsamer“. Das Kind, das eines Tages einem anderen ein gängiges Schimpfwort mit dem Zusatz „Klima“ an den Kopf warf, ohne genau zu wissen, was es da sagt, nutzte die Schimpfwortkette nach einem Gespräch mit den Betreuer:innen nicht mehr. Solche Erlebnisse ändern wenig an der Tatsache: Die Jugendarbeit ist strukturell ein sehr prekärer Bereich, der auf Dauer viel Idealismus und Resilienz verlange.

 

Der kürzlich verabschiedete «1. Jugendförderplan» des Jugendamtes Neukölln beziffert das Manko: Laut Gesetz müsste Neukölln 5.700 Plätze in Jugendeinrichtungen anbieten, Ende 2019 waren es jedoch 3.600, es fehlen über 2.000 Plätze. Die Bevölkerung unter 26 Jahren im Bezirk beläuft sich auf rund 67.000 Einwohner:innen, das erwartete Wachstum bis 2025 liegt bei fünf Prozent. Das Nachbessern wird sicherlich eine Herausforderung. Grob geschätzt gibt es knapp 20.000 Kinder zwischen sechs und 13 Jahren in Neukölln.

 

Aber auch wenn es nicht genug Plätze gibt, so ergab die begleitende Erhebung unter den Jugendlichen: Die Angebote werden als sehr gut betrachtet, in den Einrichtungen fühlen sie sich angenommen und unterstützt. Sie wünschen sich jedoch, unter anderem, mehr jugendfreundliche und gestaltbare Bewegungsorte im öffentlichen Raum. Und die ganz jungen, die Klientel der Street Players, mehr Naturerlebnisse und Kontakt zu Tieren. Im dicht besiedelten Norden Neuköllns ist das kein Wunder. Vielleicht könnte eine Haustier-Parade (eine sog. pet parade) auf dem Hertzbergplatz Abhilfe leisten?

 

Was aus der Quiche geworden ist, habe ich nicht mehr miterlebt. Denn wer in den Genuss einer Quiche bei den Street Players kommen will, der muss unter 14 sein und hoffen, dass Corona das Kochangebot wieder erlaubt. Unter der Pandemie leiden laut Befragung und erwartungsgemäß alle Jugendlichen. Aber die Street Players versuchen, so spielerisch wie möglich, damit umzugehen. Die Freude, mit der Mariusz und seine zwei Freundinnen deren Angebote wahrnehmen, lassen vermuten: Es gelingt ihnen ganz gut.